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Hier befinden sich die Texte meiner Ansichten über Simultanfähigkeit und der Kurskonzept.

Wirkliche klangliche Übereinstimmung innerhalb der einzelnen Streichergruppen Die Entwicklung der Simultanfähigkeit Eine Chance für das Streicherstudium

Die Situation der Orchester ist in permanenter Entwicklung in Bezug auf den Anspruch an die Aussagekraft und -Fähigkeit der Musiker, in Bezug auf den Konzertmarkt, die Medien, den Stellenwert in der Gesellschaft und nicht zuletzt auch auf die Neubesetzung der freien Stellen. Heutzutage sehen sich Probespielkandidaten einer enormen Konkurrenz ausgesetzt, und gleichzeitig steigern die Orchester ihre Anforderungen an die Spieler bis hin zu einem solistischen Niveau.

Die Aufgabe, Streicher bis hin zu einem solistischen Niveau auszubilden, wird weltweit an den Musikhochschulen gut bis ausgezeichnet verstanden. Viele Musiker, bei Bläsern sowie bei Streichern, haben auf den ersten Blick Fähigkeiten, die auch ein unkompliziertes Eingliedern in bestehende Gruppenstrukturen versprechen.

Die Aufgabe für die Studenten, ihr Instrument entsprechend dem vorhandenen Talent optimal beherrschen zu lernen, auch, ein möglichst lückenloses Repertoire mit Sololiteratur und Kammermusik kennen zu lernen und vor Allem, das musikalische Verständnis und einen stilsicheren Geschmack zu entwickeln, schöpfen die Möglichkeiten des Hauptfachstudiums eigentlich schon gehörig aus.

In Einzelfällen findet man auch eine erfreuliche Kenntnis der Orchesterliteratur vor: es gibt ja die Bücher von Schmallnauer und Gingold und man kann CD‘s kaufen. Und auch in den Hochschulorchestern wird natürlich das eine oder andere Konzert- oder Opernprojekt durchgeführt, wobei hier allerdings systembedingt die augenblicklich notwendigen Lernziele der Studenten oft nicht an erster Stelle stehen.

Immer noch sehr oft ist zu beobachten, dass die Studenten sich mit ihrer solistischen Ausbildung primair auf eine solistische Laufbahn fixiert haben. Zumindest werden sie Kammermusik machen. „Orchester ? Na ja, vielleicht wenn es als Solist nicht klappt...“

Die fehlende Orchesterfaszination merkt man spätestens dann, wenn die Orchesterstellen während des Probespiels abgefragt werden. Die Qualität der Ausführung der Stellen ist meistens viel geringer als die Qualität der solistischen Darbietungen. Der erfahrene Orchestermusiker merkt, dass die Noten vielleicht noch ganz gut einstudiert wurden. Die Interpretation aber ist leider selten verwendbar im Orchester. Es wird eben „solistisch“ gespielt.

Meines Erachtens kommt das in erster Linie durch fehlendes Verständnis dafür, wie man solistische Qualitäten, die man sehr wohl braucht im Tutti des Orchesters, richtig einsetzt. Ein Orchesterpraktikum hilft in vielen Fällen, ein erstes Verständnis für die spezifischen Anforderungen eines guten Tutti-Spielers entstehen zu lassen. Trotzdem bleibt aber die Anforderung an die Studierenden, diese Fähigkeiten viel mehr als bisher üblich während des Studiums zu trainieren.


Was ist eigentlich „wirkliche klangliche Übereinstimmung“ ?

Um ein homogenes Klangbild in einer Streichergruppe zu erreichen, braucht man zunächst einmal das Verständnis für die hierarchische Struktur einer Gruppe mit Konzertmeistern, Stimmführern und Tuttisten.

Es liegt in der alleinigen Verantwortung des ersten Konzertmeisters, die Klangwünsche des Dirigenten sowohl in der gesamten Streichergruppe als auch im Besonderen in seiner Gruppe der ersten Violinen umzusetzen. Wenn dieses gut funktionieren soll, hat das als Konsequenz, dass jeder der Gruppe dem Konzertmeister in jedem Detail seiner Ausführung folgen muss. Aber wie kann das funktionieren, wenn eine Gruppe aus 18 oder 20 Geigern besteht ?

In einem klein besetzten Kammerorchester finden Stimmproben statt, um die Homogenität einer zum Beispiel vier-köpfigen Streichergruppe zu erreichen. Die drei Tuttisten stimmen dabei ihre Spieltechniken in allen Dimensionen auf die vom Konzertmeister angewandte Technik ab: die Intonation, die Bogentechnik mit der Einstellung der Strichlänge, die Bogengeschwindigkeit, Gewicht und Kontaktstelle auf der Saite, Spiccato-Springhöhe und, als Wichtigstes: eine ganz geringe graduelle Abstufung der Lautstärke. Es werden Fingersätze verwendet, die untereinander kompatibel sind, aber innerhalb der Gruppe nicht gleich sein müssen. Und unter Umständen würde der Tuttist die Fingersätze in ein Solostück anders gestalten. Zum Erreichen einer vollständigen Simultanität wird, im übertraglichen Sinne, „das Ohr des Tuttisten in das F-Loch des Stimmführers gelegt“.

Wenn schon die stellvertretenden Stimmführer im größer besetzten Tutti eigentlich keine Stellvertreterfunktion haben in dem Sinne, dass sie, allenfalls im absoluten Seltenheitsfall, krankheitsbedingte Ausfälle der Konzertmeister abfedern sollen, so haben sie hier doch eine sehr wichtige Funktion: eine Weiterleitung der Impulse des ersten Konzertmeisters oder Stimmführers. Wenn sich die ersten drei Kollegen hinter dem ersten Stimmführer, wie in einem klein besetzten Kammerorchester, dem ersten Konzertmeister oder ersten Stimmführer in allen oben genannten Bereichen anpassen und in ihren Bewegungen und deren Intensität seine Impulse „verstärken“, so kann jeder Tuttist, der seinen Platz am 3. Pult oder dahinter hat, sich leicht seinen „Verbindungskollegen“ schnappen und so ebenfalls die Spieleinstellungen des Konzertmeisters übernehmen. Gleichzeitig sollen die Tuttisten, ebenso wie schon die stellvertretenden Stimmführer, eine kleine dynamische Abstufung vornehmen, - schon um zu vermeiden, dass sich einer versehentlich in den Vordergrund spielt. Im Fachjargon bezeichnet man dies als „defensiv spielen“, wenngleich damit eigentlich gemeint ist, dass der Tuttist abwartend sein und nicht allzuviel Spielinitiative zeigen soll, um nicht seinen Konzertmeister von „hinten zu überrollen“. Richtig kompliziert wird es, wenn man bedenkt, dass der einzelne Tuttist neben dem Kontakt mit dem o.g. „Verbindungskollegen“ auch die absolute Simultanität mit seinem Pultpartner pflegen soll , dem Dirigenten gelegentlich auf die Hände schauen und, wenn nötig, ab und zu in die Noten gucken....


Wie entwickelt man diese Simultanfähigkeiten ?

Aus dem Dargelegten wird klar, dass die Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit sehr hoch sind, und, dass es bei Weitem nicht reicht, nur die Noten gut spielen zu können.

Das Alles ist eindeutig zuviel für den Hauptfachunterricht an der Musikhochschule. Wie soll der Studierende das lernen, im sog. Hauptfachunterricht?

Nach meiner Meinung ist es zu spät, wenn einem diese Dinge erst in einem Probejahr bewusst werden.

Viele Studenten nutzen die Gelegenheiten, die Jugend-Orchester und Festival-Orchester bieten; mit intensiverem Probenaufwand, der oft Stimmproben unter Leitung eines Dozenten umfasst. Doch auch hier gilt: schon ganz gut, - aber nicht gut genug.

Schon in der Musikhochschule sollte man diese Fähigkeiten unbedingt entwickeln.

Ideal wäre ein Kurs mit minimal sechs bis maximal vierzehn Studenten, der acht Semester dauern sollte. Die Studenten bereiten bevorzugt ganze Werke vor, aus denen in den Probespielen einzelne Stellen verlangt werden. Ausserdem bedeutende Werke aus dem Standardrepertoire. Pro Semester könnte man sechs bis zehn Werke einstudieren unter Anwendung der oben beschriebenen Arbeitstechniken. Dabei würden Studenten mit Stimmführerqualitäten genauso gefordert werden wie geborene Tutti-Spieler. In den Hochschulorchestern können sie dann das Gelernte sofort umsetzen und sie werden sich eher der Tatsache bewusst, dass das Orchesterspiel eine faszinierende Angelegenheit ist und eine hervorragende Chance zum Erreichen musikalischer Ziele bietet. Und, dass man selten zu gut ist für das Spiel in einem grossen Orchester...

Die Vorbereitung auf spätere Probespiele profitiert von einem „Mitnahme-Effekt“: da ganze Werke einstudiert werden, würden die lückenhaften Notentexte aus den Orchesterschulbücher bald überflüssig werden. Der Kandidat weiss jetzt genau, welche Stellen auf welche Weise zu arbeiten sind und auf was es hier und da noch ankommt. Die Zuhörer bei seinem Probespiel werden das auch merken! Er oder sie hat wirklich gelernt, die Ohren frei zu halten, um anderen Spielern, an die sie sich anpassen müssen, gleichzeitig zuzuhören; und er wird in einem Orchester von Anfang an eine richtige, „teil-defensive“ Spielweise mit adaptiver Intonation und Tongebung anwenden können.

Radboud Oomens, erster Violinist Hittfeld, 13. Juli 2005

NDR-Sinfonieorchester Hamburg